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Wasserstoff im Stromsektor

Grüner Wasserstoff wird zum Sicherheitsnetz für die erneuerbaren Energien: Eingesetzt in Gaskraftwerken und Brennstoffzellen, gewährleistet er voraussichtlich künftig die Stromversorgung, wenn Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen wetterbedingt nicht ausreichend Energie liefern können. Zudem reduziert er die Abhängigkeit von Erdgas-Importen.

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Es wird d ein jährlicher Zubau von Windkraft – und Solaranlagen von 29 GW im Jahr 2025 und in der Spitze sogar 39 GW im Jahr 2030 benötigt

Die Bundesregierung hat das Ziel gesetzt, nahezu den gesamten Strombedarf bis 2035 aus erneuerbaren Quellen zu decken. ((1)) Dafür ist der Studie „Klimaneutrales Stromsystem 2035“ von Agora Energiewende unter anderem ein erheblicher Ausbau von erneuerbaren Energien erforderlich. Demzufolge wird ein jährlicher Zubau von Windkraft – und Solaranlagen von 29 GW im Jahr 2025 und in der Spitze sogar 39 GW im Jahr 2030 benötigt ((8)). Der Ausstieg aus dem fossilen Energiemarkt bedeutet eine große Umstellung für den Energiesektor. Denn der Stromverbrauch in jedem Haushalt sowie in jedem Unternehmen variiert im Tagesverlauf und passt nicht zwingend zur ebenfalls fluktuierenden Stromproduktion aus erneuerbaren Energieanlagen. 

Vor Einführung der erneuerbaren Energien waren Kohle, Erdgas und Kernenergie die Hauptenergieträger für die Stromproduktion. Der Vorteil dieser Anlagen bestand darin, dass diese steuerbar sind und sich dem Verbrauchsprofil anpassen können. Für den Klimaschutz muss aber auf diese Technologien verzichtet und somit das Energiesystem entsprechend den neuen Herausforderungen angepasst werden. Durch den Ausbau von PV- und Windkraftanlagen liegt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung im Jahr 2021 bundesweit inzwischen bei ca. 40 %. 

Somit resultiert die Herausforderung eines Energiesystems basierend auf erneuerbaren Energien darauf, die nicht steuerbare Energieproduktion für unsere variierenden Energiebedarfe nutzbar zu machen. Strom aus Wind- und Solarenergie wird unabhängig davon, ob es gebraucht wird oder nicht, über Windkraft- und Solaranlagen produziert, wenn Wind und Sonne zur Verfügung stehen. Deshalb sind flexible Kraftwerke erforderlich, damit die Stromproduktion dem schwankenden Stromverbrauch folgen kann. 

Wasserstoff ersetzt Erdgas

Doch wie passt der Zubau von Gaskraftwerken zum Ziel, die Stromversorgung bis 2035 komplett auf erneuerbare Energien umzustellen – bei gleichzeitigem Bemühen der Bundesregierung, die Abhängigkeit von Erdgas-Importen zu reduzieren? In Ergänzung zum Aufbau der erneuerbaren Energien werden flexible Gaskraftwerke gebraucht, um eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Diese Gaskraftwerke werden zunächst mit Erdgas betrieben, bis ausreichend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht. Mittel- und langfristig soll der fossile Brennstoff also durch grünen Wasserstoff und weitere CO2-neurale Energieträger ersetzt werden.

In Ergänzung zum Aufbau der erneuerbaren Energien werden flexible Gaskraftwerke gebraucht, um eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Um dem Thema Importabhängigkeit auch kurzfristig zu begegnen, helfen die LNG-Terminals bei der Diversifizierung der Erdgasversorgung. Für diese Importterminals, die für die Sicherung der Gasversorgung in Deutschland und Europa errichtet werden, gibt es bereits eine langfristige Perspektive. Demzufolge sollen die LNG-Terminals mit einem wachsenden Angebot klimaneutraler Energieträger auch für den Import von Energieträgern auf Basis von grünem Wasserstoff genutzt werden.

Wie viel Wasserstoff für die flexiblen Kraftwerke benötigt wird, hängt vor allem davon ab, wie sich der Strombedarf entwickelt und welche Rolle gasbefeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen künftig in der Fernwärmeversorgung spielen. Kein Wunder also, dass sich die Prognosen von Experten erheblich voneinander unterscheiden. So beziffert der BDI den Bedarf an grünem Wasserstoff im Jahr 2045 mit 92 Terawattstunden, die Denkfabrik Agora Energiewende rechnet in ihrer Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ im Stromsektor dagegen mit einer Nachfrage von 152 Terawattstunden. ((4)) Beiden Studien ist gemein, dass sie erstellt worden sind, bevor die Bundesregierung das Erneuerbare-Energien-Ziel auf 2035 vorgezogen hat. Die genannten Wasserstoff-Mengen für die Stromversorgung werden also bereits früher benötigt – auch vor dem Hintergrund, dass EU und Bundesregierung die Erdgas-Importe aus geopolitischen Gründen reduzieren wollen. 

Neben einem flexiblen Betrieb von regelbaren Gaskraftwerken zur Deckung der Residuallast ist es außerdem wichtig, dass neue elektrische Verbraucher wie Elektrolyseure, Wärmeerzeuger und Elektrofahrzeuge flexibel betrieben werden (8). 

Angepasste Turbinen und Motoren

Technisch gesehen bringt der Einsatz von Wasserstoff in Gaskraftwerken allerdings einige Herausforderungen mit sich. So weist Wasserstoff andere Verbrennungseigenschaften auf als Methan, Hauptbestandteil von Erdgas. Die Anlagenhersteller arbeiten deshalb schon seit einigen Jahren daran, ihre Turbinen und Motoren so anzupassen, dass sie mit einem Gemisch aus Erdgas und Wasserstoff betrieben werden können. Die ersten Gasmotoren dieser Art sind schon auf dem Markt verfügbar. Einige Hersteller bieten sogar bereits Motoren an, die mit hundert Prozent Wasserstoff betrieben werden können. Die nach eigenen Angaben weltweit erste wasserstofffähige Gasturbine im industriellen Maßstab entsteht derzeit im niedersächsischen Lingen. Hier planen RWE und Kawasaki ein Pilotprojekt mit einer wasserstoffbetriebenen Gasturbine mit einer Leistung von 34 Megawatt (MW). Ziel des Vorhabens ist es die Rückverstromung von Wasserstoff im Gaskraftwerk Emsland zu erproben. Dabei kann die Turbine mit jeder beliebigen Kombination aus Wasserstoff und Erdgas betrieben werden. So kann auf unterschiedliche zur Verfügung stehende Mengen an grünem Wasserstoff reagiert werden. ((9))  

Die bereits vorhandenen Gaskraftwerke vertragen dagegen in der Regel nur relativ geringe Anteile an Wasserstoff im Brenngas. Dies hängt mit den von Erdgas abweichenden Stoffeigenschaften des Wasserstoffs zusammen wie beispielsweise seiner hohen Reaktivität. Wie hoch der Wasserstoffanteil sein kann, ermitteln Anlagenhersteller und Versorger jetzt in mehreren Pilotprojekten.

Dieses Problem besteht bei Brennstoffzellen nicht – die mit Wasserstoff betriebenen Anlagen kommen ohne Gasmotor oder -turbine aus. Ihrem Namen zum Trotz produzieren sie Strom nicht durch das Verfeuern von Wasserstoff, sondern durch einen chemischen Prozess, der Wasserstoff in Strom und Wärme umwandelt. Auch Brennstoffzellen könnten zum Einsatz kommen, wenn Windenergie- und Photovoltaikanlagen nicht verfügbar sind. Bislang hat die Technologie für die Stromversorgung hierzulande allerdings nur marginale Bedeutung. Deutlich weiter verbreitet sind solche Anlagen in Asien. In Südkorea ist 2020 das mit 50 Megawatt Leistung bislang größte Brennstoffzellen-Kraftwerk der Welt in Betrieb gegangen.

Eine Umrüstung von Gasmotoren auf den Betrieb mit 100% Wasserstoff ist bei einer umfassenden Anpassung der Motoren bereits heute technisch möglich, wie ein Feldtest in zwei bestehenden Hamburger Blockheizkraftwerken zeigt.

Die Politik macht Druck

Die Politik bereitet den Wechsel von Erdgas zu Wasserstoff in der Stromversorgung auf verschiedene Weise vor. So sieht etwa die EU-Taxonomie für klimafreundliche Investitionen vor, dass nur diejenigen Gaskraftwerke in den Genuss einer günstigeren Finanzierung kommen, die ab 2036 ausschließlich mit Gasen erneuerbaren Ursprungs oder mit CO2-armen Gasen betrieben werden. ((5)) Die von der EU-Kommission vorgeschlagene zusätzliche Verknappung von CO2-Emissionszertifikaten kommt dem Einsatz von grünem Wasserstoff ebenfalls zugute.

Autor: Ralph Diermann

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