Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels
Erderwärmung: Welche Folgen das Überschreiten der 1,5-Grad-Schwelle hätte
Wenn sich die Erde um mehr als 1,5 Grad aufheizt, hat das massive Folgen für das Leben auf allen Kontinenten und in allen Weltmeeren, warnt der Weltklimarat IPCC. Zugleich zeigen sich die Wissenschaftler aber optimistisch: Die Instrumente und das Know-how zur Begrenzung der Erderwärmung sind vorhanden, so die Forscher. Nun gelte es, sie anzuwenden.
Es passiert selten, dass Wissenschaftler so drastische, klare Worte wählen: „Das Ausmaß der jüngsten Veränderungen im gesamten Klimasystem (…) ist seit vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden beispiellos“, erklärt die Arbeitsgruppe I des Weltklimarats IPCC in ihrem aktuellen Bericht ((1)). In diesem und anderen IPCC-Reports tragen renommierte Forscher aus aller Welt den Wissensstand zum Klimawandel zusammen. Die Auswirkungen der Erderwärmung sind bereits heute spürbar, schreiben die Experten: Die Hitzewellen nehmen zu und werden extremer, es kommt vermehrt zu Starkregen und Dürren, das arktische Meereis schwindet.
Um 1,1 Grad ist die Temperatur im globalen Durchschnitt seit Beginn der Industrialisierung bereits gestiegen. Gelingt es der Weltgemeinschaft nicht, die CO2-Emissionen erheblich zu reduzieren, könnte das von der Pariser Klimakonferenz gesetzte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, bereits in zehn bis zwölf Jahren überschritten werden. Das zeigt eine Studie von Forscherinnen und Forschern der US-amerikanischen Pennsylvania State University ((2)).
Mehr Todesfälle, mehr Krankheiten, mehr Armut
Was würde ein Temperaturanstieg um mehr als 1,5 Grad konkret bedeuten? Dazu hat eine andere IPCC-Arbeitsgruppe einen detaillierten Report vorgelegt ((3)). In ihrem Bericht legen die Wissenschaftler unter anderem dar, dass die heißen Tage in den mittleren Breiten der Erde – also auch in Mitteleuropa – um vier Grad wärmer werden als heute, wenn die globale Durchschnittstemperatur um zwei Grad zunimmt. Verglichen mit einem Anstieg um 1,5 Grad kommt es in vielen Regionen der Welt häufiger zu Starkregen und Dürren, in den Tropen entstehen mehr Wirbelstürme. Viele Ökosysteme werden sich verändern, mit gravierenden Folgen für die Biodiversität: Insgesamt 18 Prozent der Insekten, 16 Prozent der Pflanzen und acht Prozent der Wirbeltiere werden den IPCC-Forschern zufolge mehr als die Hälfte ihres klimatisch bestimmten Verbreitungsgebietes verlieren.
Auch die Weltmeere sind betroffen: Mit steigenden Temperaturen und einer durch die höhere CO2-Konzentration in der Atmosphäre bedingten Versauerung des Wassers büßen Fische vielerorts ihren Lebensraum ein. Damit sinken die Erträge der Fischer, und auch die Bedingungen für die Aquakultur verschlechtern sich – fatal, weil Fische gerade in vielen Entwicklungsländern ein wichtiges Lebensmittel sind.
Ohnehin treffen die Klimaveränderungen die Länder des globalen Südens dem IPCC-Bericht zufolge besonders stark. So gehen die Erträge und auch die Nährstoffgehalte von Mais, Reis und Weizen insbesondere in Afrika südlich der Sahara, in Südostasien sowie in Zentral- und Südamerika stärker zurück, wenn die 1,5-Grad-Schwelle überschritten wird. Auch die Viehzucht wird erschwert. Eine Erderwärmung um zwei Grad bedeutet, dass mehrere hundert Millionen Menschen mehr unter klimabedingter Armut leiden werden, so die IPCC-Forscher.
Nicht zuletzt kommt es häufiger zu hitzebedingten Erkrankungen und Todesfällen – vor allem in den Städten, auch in mittleren Breiten, da die Temperaturen hier wegen der dichten Bebauung noch einmal höher sind als in ländlichen Regionen. Auch wächst mit Durchbrechen der 1,5-Grad-Schwelle das Risiko, sich mit Krankheiten wie beispielsweise Malaria zu infizieren, da der Lebensraum der sie übertragenden Stechmücken größer wird.
Schleswig-Holstein verliert Land ans Meer
Da sich mit steigenden Temperaturen das Volumen des Meerwassers ausdehnt und zugleich die Wassermenge durch das Schmelzen der Gletscher an Land und der Eismassen im Meer zunimmt, steigt auch der Meeresspiegel: um rund zehn Zentimeter zusätzlich bei zwei statt 1,5 Grad Erderwärmung. Das klingt nicht viel – bedeutet aber laut IPCC, dass bis zu zehn Millionen Menschen mehr ihre Heimat verlieren werden.
Als „Land zwischen den Meeren“ ist auch Schleswig-Holstein vom Anstieg des Pegels betroffen. Zwar verbietet sich ein direkter Vergleich mit Ländern wie Bangladesch, die weit weniger Ressourcen haben, um ihre Küstenregionen vor den Fluten zu schützen. Nichtsdestotrotz wird ein höherer Meeresspiegel auch Schleswig-Holstein vor Herausforderungen stellen.
Was die Erderwärmung konkret für die deutsche Nord- und Ostseeküste bedeutet, haben Forscher der HafenCity Universität Hamburg berechnet ((4)). Danach werden gut 1.000 Quadratkilometer Fläche verloren gehen, wenn die globale Temperatur im Mittel um 1,8 Grad steigt. So werden beispielsweise im Westen und Norden von Fehmarn große Flächen überflutet, ebenso weite Teile der Nordsee-Halligen.
1,5-Grad-Ziel: „Wir können das schaffen“
Viele gute Gründe also, in Schockstarre zu verfallen? Auf keinen Fall – denn auch wenn die IPCC-Autoren laut Alarm schlagen, so machen sie doch Hoffnung, dass es gelingt, die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten. „Wir haben die Instrumente und das Know-how, um die Erwärmung zu begrenzen“, ist der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee überzeugt. „Die Klimaschutzmaßnahmen, die in vielen Ländern ergriffen werden, geben mir Mut“, sagte der südkoreanische Wissenschaftler bei der Vorstellung des jüngsten IPCC-Berichts. „Es gibt politische Maßnahmen, Vorschriften und Marktinstrumente, die sich als wirksam erweisen.“
Das sieht der IPCC-Leitautor Jan Christoph Minx vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin ähnlich. „Wir müssen das fossile Zeitalter beenden und das Ruder im Klimaschutz in der nächsten Dekade herumreißen. Denn sonst schließt sich das Fenster für das 1,5-Grad-Ziel“, erklärt der Forscher. „Aber wir können das schaffen. Die Optionen sind da und es bedarf jetzt der entsprechenden politischen Weichenstellungen.“
Minx hebt dabei die technologischen Entwicklungen als „Lichtblicke im Klimaschutz“ hervor. Besonders groß sind die Fortschritte zum Beispiel bei Erzeugung, Verarbeitung und Einsatz von grünem Wasserstoff. Ihm kommt eine Schlüsselrolle beim Klimaschutz zu: Hergestellt per Elektrolyse mit erneuerbaren Energien, ersetzt er – pur oder zu anderen klimaneutralen Energieträgern wie e-Fuels oder synthetischem Methan verarbeitet – fossile Brenn-, Treib- und Grundstoffe in der Industrie, dem Verkehr, der Strom- und der Wärmeversorgung. Da ein Industrieland wie die Bundesrepublik auch langfristig auf flüssige und gasförmige Energieträger angewiesen sein wird, ist Wasserstoff einer der stärksten Hebel für die Minderung der CO2-Emissionen in den einzelnen Sektoren. Darüber hinaus trägt die Produktion von Wasserstoff dazu bei, Windenergie und Photovoltaik in das Energiesystem zu integrieren. Denn schließlich können Elektrolyseure gezielt dann betrieben werden, wenn gerade viel Strom aus erneuerbaren Quellen verfügbar ist.
Autor: Ralph Diermann