„Wasserstoff ist ein Gebot der volkswirtschaftlichen Vernunft“
Interview mit Kurt Christoph von Knobelsdorff, CEO und Sprecher der NOW GmbH
Wasserstoff ist ineffizient, verglichen mit einer umfassenden direkten Elektrifizierung? Falsch, meint Kurt Christoph von Knobelsdorff, CEO und Sprecher der NOW GmbH, der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie*. Nimmt man das ganze Energiesystem in den Blick, zeigt sich schnell: Wasserstoff macht die Energiewende kostengünstiger.
Wir von der Landeskoordinierungsstelle Wasserstoffwirtschaft Schleswig-Holstein hören häufig noch die Meinung, Wasserstoff sei nicht effizient. Wegen der Umwandlungsverluste bei der Produktion von Wasserstoff und PtX-Energieträgern sei es sinnvoller, das Energiesystem umfassend zu elektrifizieren. Wie ist hier Ihre Erfahrung?
Mit dieser Haltung sehe ich mich auch immer wieder konfrontiert. Allerdings hat sich die Argumentation meiner Beobachtung nach in den letzten Jahren etwas verändert: Niemand behauptet heute mehr, dass man in einem klimaneutralen Energiesystem ganz auf Wasserstoff verzichten kann. Ich erinnere mich an viele Diskussionen mit Experten, die noch vor nicht allzu langer Zeit Wasserstoff grundsätzlich für einen Irrtum hielten. Das ist vorbei. Jetzt heißt es stattdessen immer wieder, Wasserstoff sei der „Champagner der Energiewende“ – er sei so knapp und wertvoll, dass man ihn ausschließlich dort einsetzen darf, wo eine direkte Elektrifizierung unmöglich ist. Was volkswirtschaftlich und technologisch gesehen aber einfach nicht richtig ist.
Hat sich Ihre Haltung in dieser Frage im Laufe der Zeit verändert? Waren Sie auch mal der Meinung, Wasserstoff und PtX seien nicht effizient genug?
Ich war schon immer davon überzeugt, dass wir beides brauchen, und zwar über alle Sektoren: Wasserstoff und die direkte Elektrifizierung. Technologieoffenheit ist Voraussetzung dafür, die Energiewende kosteneffizient gestalten zu können. Allerdings ist es nicht immer leicht, mit diesem übergreifenden Ansatz in der öffentlichen Diskussion durchzudringen, da sich manche Teilnehmer in ihren All-Electric-Positionen regelrecht verbarrikadiert haben und jeden Zweifel daran mit teilweise erstaunlicher Aggressivität beiseite wischen.
Sehen Sie regionale Unterschiede in der Debatte?
Nach meiner Wahrnehmung ist Schleswig-Holstein hier deutlich weiter als viele andere Bundesländer, wohltuend offener und auch innovationsfreudiger. Was daran liegen dürfte, dass Politik, Wirtschaft und Bevölkerung erkannt haben, welch große Chancen im Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft liegen. Gerade die Westküste Schleswig-Holsteins mit ihren vielen Windenergieanlagen ist mit enormem Energiereichtum gesegnet. Da liegt es natürlich nahe, daraus etwas Wertschöpfendes zu machen, statt den Windstrom bloß in den Süden zu leiten.
Wie nehmen Sie die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft in Schleswig-Holstein wahr, was empfehlen Sie den Unternehmen?
Es gibt viele tolle Akteure in Schleswig-Holstein, die das Thema mit großem Engagement vorantreiben. Auch die Landesregierung wirkt sehr unterstützend. Allerdings leiden die Akteure wie auch die der anderen Bundesländer unter den regulatorischen Schranken, die nach wie vor existieren. Umso mehr Respekt habe ich, dass sie sich dadurch auf ihrem Weg bislang nicht beirren lassen. Mein Rat: Durchhalten, weitermachen!
Was entgegnen Sie denn Menschen, die argumentieren: Für den Verkehr haben wir Elektromotoren, für die Wärmeversorgung die Wärmepumpen, viele Industrieprozesse lassen sich elektrifizieren – warum braucht es da überhaupt Wasserstoff?
Wenn man das Energiesystem als Ganzes in den Blick nimmt, sieht man schnell, dass diese Argumentation zu kurz springt. Denn Deutschland wird auch im Zeitalter der Erneuerbaren nicht von eigener Energieerzeugung leben können, sondern darauf angewiesen sein, einen großen Teil der benötigten Energie zu importieren. Das verlangt, Strom aus erneuerbaren Quellen in molekulare Energieträger, also in Wasserstoff und darauf basierende PtX-Energieträger, umzuwandeln. Denn nur so ist erneuerbare Energie über lange Strecken transportier- und über lange Zeiträume speicherbar. Warum sollte man diese importierten Moleküle erst rückverstromen, um sie energetisch zu nutzen? Spätestens hier brechen die Effizienzargumente doch in sich zusammen. Was aber nicht heißt, dass wir den Wasserstoff künftig ausschließlich importieren werden – wir benötigen auch in Deutschland eine große Produktion; allein schon wegen der Möglichkeiten, die die Elektrolyse bei der Integration der Erneuerbaren ins Energiesystem bietet.
Und zum zweiten ist Wasserstoff schlichtweg ein Gebot der volkswirtschaftlichen Vernunft. Eine vollständige oder weitgehende Direkt-Elektrifizierung des Systems würde nämlich einen enormen Ausbau der Strom-Infrastruktur verlangen. Abgesehen von der Frage, ob das überhaupt schnell genug realisiert werden kann, entstehen dadurch erhebliche Kosten, die letztlich von den Verbrauchern zu tragen wären.
Wie sehen die volkswirtschaftlichen Vorteile des Wasserstoffs gegenüber einer umfassenden Direkt-Elektrifizierung denn konkret aus?
Wir können die vorhandene, sehr gut ausgebaute Gas-Infrastruktur mit ihren Leitungen und Speichern sowie den Technologien für den Einsatz des Energieträgers in das Erneuerbare-Energien-Zeitalter überführen, indem wir sie für Wasserstoff umnutzen. In dieser Infrastruktur stecken viele Milliarden Euro an Werten, die wir damit für die Energiewende gewinnen. Der All-Electric-Weg dagegen kommt mit dem Preisschild für den nötigen massiven Ausbau der Stromnetze. Und das nicht nur im Übertragungsnetz, sondern auch in den lokalen Verteilnetzen – allein dort werden die Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe geschätzt. Dieser finanzielle Aufwand muss dem für die Ertüchtigung der bestehenden Gasnetze gegenübergestellt werden. Ergebnis wird sein, dass das kostenoptimale Gesamtsystem ein Mischsystem sein wird, ohne mich darauf festlegen zu wollen, wie am Schluss die jeweiligen Anteile aussehen werden. Dass wird letztlich der Markt entscheiden, der Effizienzen automatisch mitberücksichtigt. Dazu kommt aber noch ein weiterer Punkt: Die Wasserstoffwirtschaft ist ein äußerst zukunftsträchtiger Industriezweig, der derzeit noch in den Kinderschuhen steckt. Wenn wir sie so weiterentwickeln, wie es für die Energiewende sinnvoll ist, sorgt das in hohem Maße für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland.
Lassen Sie zum Abschluss uns fünf Jahre in die Zukunft blicken: Werden die Vorbehalte gegenüber Wasserstoff dann ausgeräumt sein?
Schwer zu sagen. Im schlechtesten Fall müssen wir mit dem Stromnetzausbau erst einmal vor die Wand laufen, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass der All-Electric-Weg in die Irre führt. Umso froher wäre ich, wenn wir nicht erst durch Schaden klug werden – wenn wir uns also schon vorher darauf einigen könnten, dass wir technologieübergreifend vorgehen müssen, dass wir also Direkt-Elektrifizierung und Wasserstoff brauchen.
*Die NOW GmbH mit Sitz in Berlin kümmert sich im Auftrag von Bundesministerien um die Umsetzung und Koordination von Förderprogrammen zur nachhaltigen Mobilität. Darüber hinaus begleitet sie strategische Stakeholder-Prozesse, gestaltet internationale Kooperationen und engagiert sich für die Akzeptanz alternativer Technologien in der Gesellschaft.
Interview: Ralph Diermann