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Blick auf’s Ganze

Warum die Beschränkung auf Strom bei der Energiewende ein teurer Irrweg ist  - Bei einer systemischen Betrachtung reduzieren grüner Wasserstoff und PtX-Energieträger die Gesamtkosten der Energiewende bis Mitte des Jahrhunderts um mehrere Hundert Milliarden Euro.

Sie sind die Symbole der Energiewende: Windräder an Land und auf See, Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und Freiflächen. Doch auch auf den Straßen und in den Heizungskellern wird der Umbau des Energiesystems immer sichtbarer, mit einer stark zunehmenden Zahl von Elektroautos und Wärmepumpen. Dort verdrängt grüner Strom nach und nach die fossilen Kraft- und Brennstoffe. Alles auf Strom also? Die Elektrifizierung aller Motoren und Maschinen, Anlagen und Prozesse als Königsweg zum Klimaschutz? So einfach geht es leider nicht. Denn Strom hat einige Eigenschaften, die seine Einsatzmöglichkeiten begrenzen. 

wind turbine field

Etwa was das Speichern der Energie über einen längeren Zeitraum betrifft: Batteriespeicher, die einzige dezentral verfügbare Speichertechnologie, können nur begrenzte Mengen Strom aufnehmen. Zudem kommt es zu großen Energieverlusten, wenn man den Strom für mehrere Wochen oder gar Monate einspeichert.. Oder die Transportfähigkeit: Um größere Mengen an Strom zu befördern, braucht es Leitungen und Kabel. Das bestehende Netz ist jedoch nicht auf die Anforderungen der Energiewende ausgelegt. Oder die Wetterabhängigkeit bei der Erzeugung: Windräder und Solaranlagen liefern dann Strom, wenn Wind weht und die Sonne scheint – unabhängig davon, ob Haushalte und Unternehmen ihn gerade benötigen. 

PtX-Energieträger: Grüner Strom in Moleküle verpackt

Zwar ließen sich diese Probleme durch übermäßige Investitionen in die Speicher-, Transport- und Erzeugungs-Infrastruktur weitestgehend lösen. Doch es geht auch deutlich smarter und kostengünstiger: mit dem Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten wie E-Fuels oder Ammoniak überall dort, wo der Einsatz von Strom nicht sinnvoll oder  nicht möglich ist.

Diese so genannten PtX-Energieträger, hergestellt per Elektrolyse mit Wind- oder Solarenergie, sind im Grunde nichts anderes als grüner Strom, der in Moleküle verpackt ist – und damit dessen zentrale Nachteile eliminiert: Sie speichern große Mengen Energie über lange Zeit nahezu ohne Verluste, lassen sich flexibel per Pipeline oder Schiff, LKW oder Zug auch über weite Strecken transportieren und stehen bedarfsgerecht zur Verfügung. Mit diesen Eigenschaften eröffnen Wasserstoff und seine Folgeprodukte völlig neue Optionen für den Import von erneuerbaren Energien. 

Auf einen Blick: Die Wasserstoff-Wertschöpfungskette

Neue Importoptionen stärken Resilienz

Dank ihrer guten Speicher- und Transportfähigkeit lassen sich die PtX-Energieträger dort in großen Mengen und zu günstigen Preisen produzieren, wo die Bedingungen für die Erzeugung des nötigen Wind- und Solarstroms optimal sind: im Mittelmeerraum und Nordafrika, in Kanada, Australien oder Chile – um nur einige Beispiele zu nennen. So kann Deutschland den Kreis seiner Handelspartner in der Energieversorgung deutlich erweitern. Diese Diversifizierung stärkt die Versorgungssicherheit und damit die Resilienz der gesamten Gesellschaft.

Ganz ohne heimische Produktion von grünem Wasserstoff kommt die Energiewende aber nicht aus. Denn die Elektrolyse bringt noch einen weiteren Nutzen: Sie trägt dazu bei, Windräder und Solaranlagen in das Energiesystem zu integrieren. Liefern sie bei viel Wind oder Sonne mehr Strom als die Leitungen gerade aufnehmen können, stehen Elektrolyseure bereit, diese Energie zu verwerten. Ohne sie müssten die Erneuerbare-Energien-Anlagen abgeregelt werden – der Wind- und Solarstrom bliebe ungenutzt.

Mix an Energieträgern mit großen Kostenvorteilen

Allerdings haben grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte einen Nachteil: Ihre Erzeugung ist verglichen mit dem direkten Einsatz von Strom, beispielsweise in der Mobilität, ineffizient. Sie enthalten weit weniger Energie als dem Prozess ursprünglich in Form von Strom zugeführt wurde.

Ein K.O.-Kriterium für die PtX-Energieträger? Mitnichten – denn bei einer volkswirtschaftlichen, das gesamte System berücksichtigenden Betrachtung schneidet eine Energieversorgung mit Strom und PtX-Energieträgern wirtschaftlich deutlich besser ab als die vollständige Elektrifizierung aller Sektoren. So hat die Deutsche Energie-Agentur „dena“ ermittelt, dass ein breiter Mix an Energieträgern und Technologien gegenüber einer weitestgehenden Elektrifizierung bis 2050 um bis zu 600 Milliarden Euro günstiger wäre ((1)) Die Analysten von Enervis beziffern den Kostenvorteil auf 244 Milliarden Euro bis 2045. ((2))

Das liegt unter anderem daran, dass die Stromnetze weniger stark ausgebaut werden müssen, wenn nur ein Teil des Energiebedarfs elektrisch gedeckt wird. Auch lassen sich lokale Netzengpässe vermeiden, indem dort Elektrolyseure installiert werden. Das Beratungsunternehmen Frontier Economics hat in einer Studie errechnet, dass PtX-Energieträger den Ausbaubedarf im Strom-Übertragungsnetz langfristig um sechzig Prozent reduziert. Für Mitte dieses Jahrhunderts prognostizieren die Experten damit eine Ersparnis von zwölf Milliarden Euro jährlich. ((3))

Der bestehenden Infrastruktur eine Zukunft geben

Kostenvorteile bringt auch, dass sich vorhandene Technologien und Infrastruktur-Einrichtungen weiter nutzen lassen – Motoren zum Beispiel, die sich ohne größeren Aufwand auf Wasserstoff und seine Folgeprodukte umrüsten lassen oder diese gar ganz ohne Anpassung nutzen können. Auch ist es möglich, das bestehende Erdgasnetz für den Transport von Wasserstoff zu verwenden. Allein das spart der Enervis-Studie zufolge bis 2045 insgesamt 151 Milliarden Euro ein, verglichen mit dem nötigen Stromnetz-Ausbau bei einer weitestgehenden Elektrifizierung. ((2)).

Bei einer gesamtsystemischen Betrachtung werden auch die Synergieeffekte deutlich, die sich durch den Einsatz von PtX-Energieträgern ergeben. Bestes Beispiel dafür ist die Abwärme, die bei der Produktion entsteht: Sie lässt sich für die Nah- und Fernwärmeversorgung nutzen. So senkt sie Kosten und Emissionen im Gebäudesektor. Ein Projekt in der nordfriesischen Gemeinde Bosbüll zeigt, wie Anwohner und Anlagenbetreiber gleichermaßen davon profitieren – und der Klimaschutz ohnehin.

Autor: Ralph Diermann

 

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